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Vom Schein und Sein

28. August 2017

#begehungen2017 Wand

Dass ich das noch erleben durfte.

Liebevolle Blicke, leises Seufzen, romantisches Erinnern. Wahrheiten und Illusionen. Wehmut, Genörgel und Gemecker. Scheu, Entsetzen und Weltschmerz. Alles, was der Mensch so fühlt. Direkt und ungefiltert. Und ich war mittendrin statt nur dabei.

Eine halbe Woche Aufmerksamkeit. Vier Tage Wohlwollen für ein Ding aus längst vergangenen Zeiten. Scheint so, als wäre ich zur rechten Zeit am rechten Ort vergessen worden. Ist ja nix Neues, dass einer meiner Spezies verloren geht. Bus, Bahn, Umkleidekabinen, Wartezimmer, Kneipen – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Vermutlich wurden wir erfunden, um liegen zu bleiben. Doch genug abgeschweift.

Leute, dieses Menschenkino.

Rentnerbeige in sämtlichen Facetten. Kreatives Schwarz. Jutebeutel, Glitzershirts, rote Mäntelchen, Kreuzstich-Chic, Retro Sneaker, Wanderblusen. Haare wie Margot Honecker, Dauerwellen, Hornbrillen, Hörgeräte, Panamahüte, Basecaps. Kurze Hosen, Röcke, Jeans, Kleider, Funktionsjacken. Teilweise standen die Leute Schlange. Fast wie früher, als das Haus das Erste am Platze war.

Damals als die Russen hier ein- und ausgingen, als die sowjetische Kommandantur das Heimweh in Wodka ertränkte. Oder später, als Chemnitz in Karl-Marx-Stadt unbenannt wurde. Tanz, Theater, Variéte. Jugendweihe, Internationaler Frauentag, Faschingsfeiern – im Kulturpalast steppte der Bär. Die Stadt konnte das nicht bieten. Ihr Zentrum, vernarbt von Bomben, wartete bis in die 1970er auf Stadthalle und Hotel „Kongress“. Also vergnügten sich die Leute in Rabenstein. Aßen Bockwurst; Ragout fin, Schnitzel mit Brot. Tranken Mandora, Braustolz, grüne Witwe, prosteten sich mit Rotkäppchen Sekt, Goldbrand oder Bulgarengold zu. Manche feierten die Sause ihres Lebens, andere soffen gegen die Tristesse an. Die Samstage, die Sonntage: ein Schaulaufen der Werktätigen. Bis die SDAG Wismut Reißleine zog. Kein weiteres Engagement im Kultur-und Versorgungssektor.

Dann stand das DDR-Fernsehen auf der Matte. Technik rein, Interieur raus. Lutz Jahoda, Carmen Nebel, Hartmut Schulze Gerlach, Heinz Rennhack, Frank Schöbel, Monika Hauff und Klaus Dieter Henkler – sie alle gaben sich die Klinke in die Hand. Für die legendären DDR-Silvestershows wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. War das Budget aufgebraucht; kein Thema. Hauptsache, die Einschaltquote lag über der des Klassenfeindes. Als im Sendestudio Karl-Marx-Stadt der letzte Vorhang fiel, stand der Mitteldeutsche Rundfunk parat. Im Herbst 1999 war dann Schluss mit lustig. Aus der schöne Schein.

Was geblieben ist?

Ein Kronzeuge des Arbeiter- und Bauernstaates. Ein aus der Zeit gefallenes Bauwerk. Ein Haus so leer und so voll wie das Leben selbst. Ein Rest vom Fest. Und ich, der Übriggebliebene, der in den Bauzaun geklemmte Regenschirm.

#begehungen2017 Regenschirm

Quelle: https://schreiberei.eu/mitteilung/Vom_Schein_und_Sein

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